Leseprobe

Golf - Terrassengespräche

Berichte vom 19. Loch


Leseprobe:


Immer montags


Nach 18 Löchern - sie spielen montags immer 18 Löcher - geht es auf der Terrasse erst einmal um die Getränkebestellung. Sie, das sind vier Herren im dritten Drittel ihres Lebens. Alles begeisterte Golfer mit durchaus unterschiedlichem Talent, die sich seit nunmehr wohl sieben Jahren regelmäßig montags auf dem Golfplatz einfinden, um 18 Löcher zu spielen. Begonnen hat das im Golfclub in der Nachbarschaft, dem sie aber wegen zunehmender Ungemütlichkeit und anderer Vorkommnisse, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, den Rücken gekehrt haben. Die gemeinsame Runde wurde einfach fortgesetzt und für montags verabredet, nachdem Sie Mitglied in diesem wunderschönen, nur wenige Kilometer entfernten Golf- und Landclub wurden, der für sie noch schöner sein könnte, wenn man nur hin und wieder auf ihren gut gemeinten, aber im Ton bestimmt und wiederholt vorgetragenen Rat hören würde.


Diesbezüglich war es im alten Club, der nur über   9 Löcher verfügt, wesentlich einfacher. Rein mathematisch gibt es eben an 9 Löchern weniger zu kritisieren als an 18 Spielbahnen. Aber dazu     später.


Ferdinand (68) war früher Fleischfachverkäufer mit Umsatzbeteiligung in einer renommierten Schlachterei in der nahen Kreisstadt und sah sich mit 59 Jahren veranlasst, vorzeitig in den Ruhestand zu wechseln. Ein berufsbedingtes, weit verbreitetes Rückenleiden zwang ihn zur Aufgabe seines geliebten Berufs und zum gleichzeitigen Verzicht auf die Umsatzbeteiligung, an die er sich im Laufe der Jahre so sehr gewöhnt hatte. Erfreulicherweise hindert ihn bisher das Rückenleiden beim Golfspiel nur bedingt, weil nach Einnahme einer ansehnlichen Dosis eines verschreibungspflichtigen Schmerzmittels, am besten zwei Stunden vor dem Start, die Rückenschmerzen durchaus erträglich werden und Golf in einem Flight zusammen mit Uli, Gerold und Wolf-Dieter ohnehin eine Menge Ablenkung garantiert.


Die innige Beziehung Ferdinands zu seinem Beruf ist natürlich nicht ohne Wirkung geblieben. Seine äußere Erscheinung dokumentiert eine gewisse Vorliebe für Fleischprodukte auf dem täglichen Speiseplan. Die Langzeitwirkung einer solch einseitigen Ernährung ist häufig in ländlichen Gegenden in Bayern zu beobachten, wo der auch überregional bekannte „Stiernacken“ besonders verbreitet ist. Oft gesellt sich zu diesem Merkmal eine stark gerötete Gesichtsfarbe, so auch bei Ferdinand. Erstaunlich ist, dass Ferdinand nicht das bei diesen Voraussetzungen übliche Übergewicht zu beklagen hat. Man könnte sogar behaupten, gemessen an seiner Körpergröße sei er schlank.


Ulrich (70), genannt Uli, hat eine Karriere als Geschichts- und Biologielehrer hinter sich. Wegen seiner geringen Körpergröße nannten ihn die Schüler der Oberstufe hinter seinem Rücken „Ulrich der Kurze“, was ihm aber nicht verborgen blieb und gehörig an seinem Selbstbewusstsein kratzte. Der aufreibende Lehrerberuf wurde durch diese Respektlosigkeit für ihn  noch unerträglicher. Erschwerend kam ein nicht unbeträchtliches Übergewicht hinzu, das er aber mit verschiedenen Formen der Körperertüchtigung zu bekämpfen sucht. Seit sieben Jahren nun genießt Uli das Leben eines Pensionärs. Eigentlich hätte er auf den Stress am nahen Gymnasium schon viel früher verzichten sollen. Aus heutiger Sicht litt er wohl zunehmend an einem Burnout-Syndrom. Leider gab es das zu seiner Zeit noch nicht, jedenfalls war ihm derlei Leiden nicht bekannt. Auch die einschlägige Fachpresse, wie z.B. die in seiner Apotheke alle 14 Tage kostenfrei verfügbare "Apotheken-Umschau" mit einer Auflage von      10 Millionen Exemplaren, hatte dieses Thema jahrelang ignoriert.


Erst vor kurzem las er in diesem Magazin, dass es sich bei dem erwähnten Burnout-Syndrom um einen Zustand ausgesprochener emotionaler Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit handelt. Genau, stellte er fest, das ist es. Heute würde man mit solchen Symptomen und einem Attest, ausgestellt von einem befreundeten verantwortungsvollen Mediziner, sofort von einer so nervenaufreibenden Tätigkeit, wie es die eines Lehrers für Geschichte und Biologie ist, bei vollen Bezügen freigestellt und könnte das Golfspiel mit staatlicher Unterstützung wesentlich früher intensiv betreiben und demzufolge zu einer gewissen Fertigkeit gelangen, die Uli, jedenfalls nach Einschätzung seiner Spielpartner, völlig abgeht. Schließlich gebe es für derlei Fälle ja auch Beispiele in diesem Golfclub. Auf konkrete Nachfrage zieht Uli es vor, atmosphärische Störungen im Club zu vermeiden und deshalb keine Namen zu nennen.


Gerold (65) hat seine Tätigkeit als Bauleiter eines international bekannten Tiefbauunternehmens mit 58 - in beiderseitigem Einvernehmen - vorzeitig eingestellt und kann sich dank einer Abfindung in bemerkenswerter Höhe zufrieden dem Golfspiel widmen. Seinem häufigen Einsatz auf Baustellen im In-und Ausland verdankt er eine wettergestählte Haut und eine für sein Alter ungewöhnliche Fitness, die allein ihn allerdings noch nicht zu einem begabten Golfer macht. Seinem energischen Auftreten verdankt er den Respekt, der ihm vielerorts entgegengebracht wird. Leider nicht von seinen Golffreunden, die seine häufigen Wutausbrüche als eher lächerlich empfinden, was sie ihm auch ein ums andere Mal zu verstehen geben.


Da auch seine Frau Elsbeth, er nennt sie Else, einen ausgeprägten Ehrgeiz als Golferin entwickelt, kann er sich Nachlässigkeiten im Spiel nicht leisten. Seine Vorgabe liefe Gefahr, hinter der seiner Frau zurückzubleiben. Es bedarf sicher keiner besonderen Erwähnung, dass es sich hierbei um eine Art Super-Gau für einen ambitionierten Seniorengolfer handeln würde.


Der Vierte im Bunde, Wolf-Dieter (59) ist der Einzige aus dieser Montagsrunde, der noch einer, wenn auch unregelmäßigen Beschäftigung nachgeht. Als selbständiger Finanzberater vermittelt er im Auftrag eines bedeutenden regionalen Geldinstituts Kredite. Der Status des „freien Unternehmers“ erlaubt es ihm, montags das Gegenteil eines Unternehmers, also „Unterlasser“  zu sein, und die gewonnene Zeit zu nutzen, um mit Ferdinand, Uli und Gerold auf die Runde zu gehen.


Da nach dem Spiel regelmäßig zeitaufwändige Gespräche über allerlei Vorkommnisse im Club geführt und die Ergebnisse der Runde detailliert analysiert werden müssen, verbleibt für Wolf-Dieter montags für die Vermittlung von Krediten verständlicherweise keinerlei zeitlicher Spielraum.


Wolf-Dieter legt großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres, das nach seiner Meinung einen großen Anteil an seinem beachtlichen beruflichen Erfolg hat. Zu einem perfekten Erscheinungsbild gehört selbstverständlich auch ein Körpergewicht, das in einem ausgewogenen Verhältnis zur Körpergröße zu stehen hat. Die besten Maßanzüge würden wohl kaum an einer außer Kontrolle geratenen Figur gut aussehen, das ist jedenfalls seine Meinung. Entsprechend geschmackvoll ist deshalb immer auch seine Kleidung auf dem Golfplatz, dezent, elegant und immer dem aktuellen Modetrend folgend. Die Zeiten, in denen selbstbewusste Golfer mit karierten Hosen auftraten, sind für ihn lange vorbei.


Die Vier bestellen also die erste Runde, die auf Uli geht. Über Ulis Abschlag an der 5 hätte man zwar trefflich streiten können, aber Ulis Flightpartner hatten mit bereits etwas trockener Kehle auf „Dame“ entschieden. Außerdem hatte dieser ahnungslose Typ von Greenkeeper die Markierung viel zu weit nach hinten gesteckt. Vor einer Woche, als Gerold ebenfalls eine dieser lästigen Damen unterlief - auch an Loch 5 - hatten die Greenkeeper die Abschlagmarkierungen für die Damen ganz vorne auf dem Abschlag positioniert, was aus der Sicht des Herrenabschlags einen deutlich größeren Spielraum für „Damen“ gab und die Chancen auf ein Gratisgetränk für die Mitspieler nachhaltig verbesserte. Wegen dieses Sachverhalts und wegen des ausgeprägten Gerechtigkeitssinns seiner Golffreunde kommt Uli mit seinen Protesten nicht durch, eine Runde wird fällig.


Uli, der bei Bestellungen im Allgemeinen zu großer Bescheidenheit neigt, stellt diese Eigenschaft durch die Beauftragung von 4 Gläsern Pils mit je 0,2 l Fassungsvermögen unter Beweis. Ferdinand, Gerold und Wolf-Dieter haben sich in den vergangenen Jahren an die ausgeprägte Sparsamkeit Ulis leidlich gewöhnt und lassen deshalb die Bestellung ohne ernsthaften, weil ohnehin zwecklosen Widerspruch durchgehen. Die nette Bedienung, wir nennen sie mal Christine, (wie der Wirt nur immer diese netten Damen für sich gewinnt?) serviert schnell und unkompliziert die frischen Pils. Diese kleinsten aller Pilsgläser lassen sich übrigens deutlich schneller zapfen als handelsübliche Biere, für die der Wirt Gläser mit 0,3 l, 0,4 l und 0,5 l Fassungsvermögen vorhält. Letztere vorzugsweise für sehr durstige Gäste aus den nördlichen Nachbarländern. Von dem deutlichen Zugewinn an Genuss bei einem größeren Glas lässt sich Uli nur dann überzeugen, wenn er nicht selbst der Besteller ist.


Die Vier feuchten also ihre trockenen Lippen an und bestellen angesichts schnell geleerter Gläser sofort und ohne Zeitverlust ein richtiges Bier. Christine, die dem Auftraggeber dieser nächsten Runde, Wolf-Dieter, bei der Annahme der Bestellung ein freundliches Lächeln gönnt, bemüht sich, den Auftrag schnellstens auszuführen, wohl wissend, dass das bescheidene Volumen der 0,2 l Gläser zu einem plötzlichen Nachholbedarf führt, was wiederum unmittelbar die an sich gute Stimmung auf der Terrasse negativ beeinflussen könnte. Christine weiß das zu verhindern.


Wolf-Dieter ist mit der Runde an der Reihe, weil er an der 12 ein Birdie gespielt hat, was seit Wochen nicht mehr passiert war. Schlimmer noch, es war ihm seit geraumer Zeit nicht mehr möglich, seinen Abschlag auf der Insel zu platzieren, weswegen er regelmäßig an der 12 einen Ball ins Spiel brachte, dessen Besitz er dem kunstfertigen Umgang mit einer Angel zu verdanken hatte, die er kürzlich im Internet günstig ersteigert hatte. Durch die häufigen Ballverluste an der 12 sah er sich nach einer gewissen Zeit zu dieser Anschaffung genötigt. Heute nun war es ihm ausnahmsweise gelungen, nicht nur das Grün zu treffen, sondern auch den Ball mit einem Putt - nach Wolf-Dieters Erinnerung waren es mindestens neun Meter -  einzulochen. Bei der verbalen Nachbearbeitung dieser Bahn auf der Terrasse spricht Gerold zwar von einem kurzen Putt, aber auf die Klärung dieses unwesentlichen Details kann hier verzichtet werden. Jedenfalls beschert der glückliche Umstand, dass der Ball von Wolf-Dieter mit dem zweiten Schlag im Loch verschwand, den durstigen Golfern eine „richtige“ Runde Bier, in deren vollen Genuss ein wenig unverdient auch Uli kommt.


Bevor es an die Auswertung der Scorekarten geht, meldet sich Uli zu Wort. Er bemerkt, dass an der Preisgestaltung des Wirts etwas nicht stimmen könne. Wieso denn 2 Pils mit je 0,2 l in der Summe teurer wären als ein Pils 0,4 l, will er wissen. Seine drei Golffreunde, alle mit einschlägiger Erfahrung aus der freien Wirtschaft, reagieren erst gar nicht, dann irritiert. Das sei doch so üblich, wendet Gerold ein, schließlich würde der Mehraufwand für Service, Gläser spülen etc. eine solche Kalkulation rechtfertigen. 


Ferdinand, der frühere Fleischfachverkäufer mit Umsatzbeteiligung, lässt sich das durch den Kopf gehen und merkt nach einer kurzen Denkpause an, dass die Frage von Uli gar nicht so abwegig wäre. Als Fleischfachverkäufer hätte er für zwei Schnitzel auch nur den doppelten Preis eines Schnitzels verlangen können. Einen etwaigen Aufschlag für den zusätzlichen Service und den doppelten Schnitt hätte er bei der Kundschaft wohl kaum durchsetzen können. Dabei müsse man sehr wohl auch bei diesem Geschäftsvorgang von einem Mehr an Aufwand ausgehen.


Wolf-Dieter und Gerold halten diese Diskussion für wenig sinnvoll. Sie antworten, ohne sich festzulegen und mahnen endlich die Auswertung der Scorekarten an. Schließlich müsse man bei fast geleerten Gläsern umgehend in Erfahrung bringen, wer für die nächste Runde die Verantwortung zu übernehmen hätte.


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