Leseprobe

Falsche Freunde



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Luigi war ein Mann, wie man sich einen Norditaliener vorstellt: Mitte 40, groß, schlank und sehr gepflegt. Seine etwas zu langen schwarzen Haare hatte er straff nach hinten gekämmt und mit Hilfe einer angemessenen Portion Brillantine veranlasst, dort auch zu bleiben. Mit seinem gepflegten Dreitagebart hätte er jedes Werbefoto für Herrenkosmetik aufwerten können. Seine Intention war jedoch nicht, Menschen durch Werbung zu überzeugen, seine Methode, an das Geld von anderen Leuten zu kommen, war aus seiner Sicht subtiler und sehr effektiv. Durch seine ausgefeilten Manieren und sein überzeugendes, höfliches Auftreten hatte er das Image eines erfolgreichen und korrekten Geschäftsmannes begründet. Dass er in allen geschäftlichen Angelegenheiten kom- promisslos vorging und seine Forderungen unnachgiebig durchzusetzen wusste, hatten etliche seiner zum größten Teil unfreiwilligen Partner schon auf schmerzhafte Weise erfahren. Die Tatsache, dass sich manche der erfolgreichen Maßnahmen am Rande oder sogar jenseits der Legalität abgespielt hatten, löste bei ihm keinerlei Bedenken aus. Im Gegenteil, jeder ‚Geschäftsvorgang‘, den er auf diese Weise zu einem guten Ende geführt hatte, stärkte sein ohnehin schon sehr ausgeprägtes Selbstbe-wusstsein.   


Luigi war in Mailand aufgewachsen und hatte aus seiner Jugendzeit ein paar gute Freunde, zu denen er über Jahre hinweg immer intensiven Kontakt hielt. So war auch seine Gewohnheit einzuordnen, mindestens alle 6 - 8 Wochen ein paar Tage in Mailand zu verbringen. Seine Freunde waren in den verschiedensten Branchen tätig, allerdings mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Er selbst hatte Mailand vor etwa 10 Jahren verlassen, um eine italienische Schmuckfirma in Bayern zu vertreten. Sprachschwierigkeiten gab es nur selten, Luigi hatte leidliche Deutsch-kenntnisse, die er nach seinem Start in Bayern zielstrebig verbesserte. Von Grammatik hielt er zwar nicht viel, was aber in Bayern angesichts der landestypischen Grammatikschwäche, die fälschlicherweise häufig mit dem Dialekt erklärt wird, nicht weiter ins Gewicht fiel.


Um das makellose Äußere seiner Erscheinung sicherzustellen, bevorzugte Luigi die aktuellste Mode, die er bei seinen regelmäßigen Besuchen in Mailand zu beschaffen pflegte. Seine Anzüge ließ er sich bei Ermengildo Zegna schneidern, wo er in der hauseigenen Maßschneiderei ein geschätzter Kunde geworden war. Normalerweise wählte er edelste Stoffe in dunkelgrau oder nachtblau, jeweils mit Nadelstreifen. Lediglich in den Sommermonaten trug er helle Stoffe, für die er mit Seide veredeltes Leinen verarbeiten ließ. Den Abstecher in die Werkstätten von Zegna nach Trivero im Piemont verband Luigi meistens mit einem umfangreichen Weineinkauf im Weingut Borgogno im kleinen Dorf Barolo, das als Namensgeber für einen der großartigsten Weine der Welt bekannt ist.


Zurück in Mailand versäumte Luigi nicht, die Corso Matteotti Nr.1 aufzusuchen, wo er bei Gravati das bestens zu seinem Outfit passende Schuhwerk anfertigen ließ. Für ihn verstand es sich von selbst, dass zu seinen Maßanzügen ausschließlich handgefertigte Schuhe getragen werden konnten.


In Deutschland fühlte sich Luigi nach einer gewissen Eingewöhnungszeit äußerst wohl. Durch die Nähe zur Schmuckbranche und der dort anzutreffenden Klientel bekam er sehr schnell tiefen Einblick in die Lebensgewohnheiten der Schickimicki-Gesellschaft in Oberbayern.  Ebenso schnell wuchs bei ihm der Wunsch, sich vergleichbare Rahmen-bedingungen für ein komfortables Leben zu schaffen. Das jedoch mit möglichst geringem Aufwand. München und Oberbayern schienen ihm äußerst geeignet, seine Geschäftsidee umzusetzen. Hier sah er jedenfalls die Chance, genügend fleißige, erfolgreiche Menschen anzutreffen, die für sein Luxusleben sorgen würden. Ein wenig nachhelfen müsste er allerdings schon.


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Dr. Lustenau konnte nur noch den Tod feststellen. Da alles auf einen Suizid hindeutete und die Polizei in einem solchen Fall ermitteln muss, um ein Verbrechen auszuschließen, wurde durch die Autobahnpolizei umgehend die Kriminalpolizei in Rosenheim informiert.


In Rosenheim war für derartige Fälle der Hauptkommissar Maximilian Reischl zuständig. Reischl war ein Mann, wie man sich einen bayrischen Hauptkommissar nur vorstellen konnte. Seine Körpergröße von 1,90 m flößte Respekt ein. Durch seinen mächtigen Schnauzer strahlte er immer eine gewisse Gemütlichkeit aus. Dadurch sollte man sich jedoch besser nicht täuschen lassen. Reischl konnte nämlich gewaltig aus der Haut fahren, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen ablief. Trotzdem verehrten ihn alle, die ihn näher kannten, weil er ein herzensguter Mensch mit ausgeprägtem Hang zur Fairness war. Es gab nur ein Thema, bei dem er unnachgiebig seine Meinung vertrat und von jetzt auf gleich ungenießbar werden konnte. Dann nämlich, wenn sich jemand als Fan des FC Bayern outete und sich gleichzeitig abfällige Bemerkungen über die Sechziger erlaubte. Da kannte er keinen Spaß. Mit den ‚Groß-kopferten‘ der Münchner Bayern wollte er nichts zu tun haben. Bei der Kripo in Rosenheim war dies bekannt, also verhielt man sich ent- sprechend. Mit Reischl Streit zu bekommen, war besser zu vermeiden.


Niemand im Polizeirevier konnte sich erinnern, ihn jemals anders als mit seiner ausgebeulten Cordhose, dem Janker über weißblauem karierten Hemd und einem Filzhut, den er von seinem Großvater geerbt haben musste, gesehen zu haben.


Hauptkommissar Maximilian Reischl war ein überaus erfahrener Krimi-naler, der mit seinen über 50 Jahren einen sehr sportlichen Eindruck machte. Kein Wunder, mindestens 2 x in der Woche trainierte er im Polizeisportverein Rosenheim mit der Volleyballmannschaft und konnte es in Sachen Fitness mit manch jüngerem Kollegen aufnehmen. Seine ruhige, besonnene Art galt bei allen Mitarbeitern der Polizeidirektion als vorbildlich, allerdings nur während normaler Dienstzeiten und von der erwähnten Ausnahme abgesehen. Wenn er, wie in diesem Fall, gegen zwei Uhr nachts aus dem Bett geholt wurde, konnte er ungenießbar werden. Da war es empfehlenswert, einer direkten Begegnung mit ihm aus dem Weg zu gehen und, wenn diese gar nicht zu vermeiden war, ihm keinesfalls zu widersprechen.


Als Reischl über den Anruf der Autobahnpolizei informiert wurde, beorderte er sofort seinen Assistenten, den Kommissar-Anwärter Ludwig Grassinger (genannt Wiggerl) aufs Revier und ließ sich unverzüglich von ihm zum Unfallort fahren, der seiner Auffassung nach durchaus auch Tatort sein konnte, und nahm den Bericht der Beamten vor Ort und die Einschätzung des Arztes entgegen.


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